Passend zum roten Stuhl war die Landtagsabgeordnete Alexandra Hiersemann vor über 40 Zuhörern in der Mörsbergei nicht nur mit einer roten Jacke geschmückt, sondern auch sonst vertrat sie zwei Stunden lang engagiert, selbstbewusst, witzig und selbstironisch SPD-Positionen, die zum Nachdenken Anlass gaben. Die beiden Moderatoren, Dr. German Hacker, Bürgermeister aus Herzogenaurach, und Marco Kreyer, vormaliger SPD-Vorsitzender Bubenreuth, ließen kein persönliches, politisches oder gesellschaftliches Thema aus, ehe nach 90 Minuten die Zuhörer ihre Fragen stellen konnten.
Auf ungewöhnlich offene Weise skizzierte Alexandra Hiersemann ihren beruflichen Werdegang sowie ihre Überlebensstrategien nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes, Karl-Heinz Hiersemann, der in den 80er- und 90er-Jahren Vorsitzender des SPD-Bezirks Franken und Spitzenkandidat in zwei bayerischen Wahlkämpfen war. So lernte sie am eigenen Leibe, wie schnell die Schattenseiten des Lebens über einen hereinbrechen können. Wie schwierig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für eine nun Alleinerziehende zu realisieren war, speziell vor 20 Jahren, wurde beklemmend deutlich. Nach der erstmaligen, 2008 noch erfolglosen Kandidatur zum Bayerischen Landtag, gelang ihr 2013 das Erringen des Mandats für den Landkreis Erlangen-Höchstadt, der zuvor verwaist war. Prägende Personen für ihre politische Haltung waren maßgeblich Willy Brandt, Herbert Wehner und Johannes Rau.
Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass das Publikum diesen biographischen Parforce-Ritt mit gebanntem Respekt verfolgte; war es doch ein seltener Genuss, einmal eine Politikerin authentisch und ohne den vielfach üblichen „Politik-Sprech“ zu erleben. Der zweite Themen-Komplex kreiste um die Arbeit im Landtag sowie um die Aktivitäten als gewählte Mandatsträgerin eines weit gefächerten Landkreises.
Die zentralen Aufgabenfelder in München sind für Alexandra die Arbeit im Petitionsausschuss mit 2.500 Fällen im Jahr, sowie im Verfassungsausschuss. An zwei „erfolgreichen“ Fällen erläuterte die Landtagsabgeordnete im Detail, wie wichtig und menschlich hilfreich Petitionen für die von schweren Schicksalsschlägen getroffenen Personen sein können, wenn alle gerichtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind und trotzdem offensichtlich eine massive, nur schwer erträgliche Ungerechtigkeit bleibt, die der Petitionsausschuss vielfach nicht beseitigen kann. Dennoch kann es hilfreich für die Petenten sein, ihr Anliegen im Ausschuss zumindest persönlich vortragen zu können.
Einen kabarettreifen Auftritt legte die Mandatsträgerin hin, als sie über ihre Wochenend-Aktivitäten im Landkreis erzählte: Tätigkeiten als Schirmherrin diverser Projekte, Ehrenamts-Empfänge, Schul-Termine, Aufgaben in der evangelischen Landessynode usw. gehören dabei in bunter Reihenfolge zu den seriösen Auftritten. Wenn gut gemeinte Einladungen zu zünftigen Kirchweih-Besuchen oder gemütlichen Advents-Feiern sich häufen, kann dies ganz schön anstrengend werden. Dennoch betonte Alexandra, dass ihr die Begegnung mit den Menschen aus unterschiedlichen Gruppierungen große Freude macht.
Bei der Frage nach der Frustrationstoleranz, wenn eine Partei wie die SPD jahrzehntelang in einer Minderheits- und Oppositionsrolle verharren muss, flüchtete die Abgeordnete nicht in die berühmte Müntefering-Floskel von „Opposition ist Mist“, sondern betonte trotz gewisser Ohnmachterlebnisse wegen der vielfach schier übermächtigen CSU, dass im Landtag gerade die Oppositionsparteien wichtige Minderheitenrechte, wie z.B. Anfragen, Anträge, Gesetzesinitiativen, vor allem Untersuchungsausschüsse, wahrnehmen. Und gerade die 2017 endlich erfolgte Durchsetzung der „Ehe für alle“ im Bundestag habe gezeigt, dass tatsächlich manchmal „der stete Tropfen den Stein höhle“, sich also auch die Arbeit in der Opposition lohne.
Als es um die Fragen zur Jamaika-Koalition, zur Frauenquote, zur Spitzenkandidatur von Natascha Kohnen bei der kommenden Landtagswahl ging, zeigte Alexandra klare Kante, indem sie ihre persönlichen Einschätzungen mit dem Bonmot schloss: „Männer sehen manchmal primär den Karriere-Stuhl, Frauen eher die zu leistende Sacharbeit“. Dass die CSU-Fraktion bei 101 Abgeordneten nur 18 Frauen aufweist, also genauso viel wie die SPD bei lediglich 42 Abgeordneten, spreche eine deutliche Sprache. Auch ihr Hinweis zur AfD mit einer eindeutigen Differenzierung zwischen den hetzerischen Attitüden vieler AfD-Partei-Funktionäre und den momentanen Protest-Wählern, die ihre Ohnmacht und ihre Frustration, oftmals politisch „nicht gehört zu werden“ oder sich nicht hinreichend vertreten zu fühlen, ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig.
Als Dr. German Hacker am Ende der Moderations-Runde Alexandra bat, drei Wünsche zu äußern, wurde es mucksmäuschen-still. Die Abgeordnete musste nicht lange überlegen:
* Mehr sozialer Zusammenhalt in unserer Gemeinschaft auf allen Ebenen
* Mehr Toleranz für die Lebensentwürfe Anderer, die von den eigenen abweichen
* Einen spannenden Landtagswahlkampf 2018 mit unterschiedlichen Partei-Positionen und einer engagierten Beteiligung vieler Menschen, weil eine Demokratie ohne aktive Partizipation der Bürgerinnen und Bürger verkümmert.
In der anschließenden 30-minütigen Fragerunde durch das Publikum ging es schwerpunktmäßig um die berüchtigte „Ski-Schaukel“ am Riedberger Horn, mögliche Investitionen im Bildungsbereich, strukturelle Umverteilungen des Volkseinkommens, Langzeitarbeitslosigkeit, die Stadt-Umland-Bahn, den voraussichtlichen „neuen“ bayerischen Ministerpräsidenten, das Quorum bei Bürgerbegehren und last but not least warum man eigentlich SPD wählen solle. Alexandras Antwort zur SPD hörte sich sympathisch bescheiden an: "Ich arbeite mit meinen politischen Möglichkeiten an der Gestaltung eines Gemeinwesens, in dem die Menschen trotz ihrer unterschiedlichen Stärken und Fähigkeiten möglichst vergleichbare Chancen erhalten und teilnehmen können. Hierbei gilt mein Blick vor allem denen, die besondere Unterstützung brauchen."
Der heftige Schluss-Beifall, auch von Besuchern, die vielleicht die SPD nicht gewählt haben, war ein rundes Dankeschön für einen spannenden Politik-Abend wie aus dem Lehrbuch. Alexandra Hiersemann revanchierte sich ihrerseits für die Blumen und den Franken-Wein, den die neue SPD-Ortsvereins-Vorsitzende, Jessica Braun, schwungvoll überreichte, mit dem Hinweis: „Endlich mal ein Ortsverein, wo nicht nur die Männer einen Wein erhalten. Für die Frauen gibt's meistens ‚nur‘ Blumen.“
Hartmut Castner